Heinrich Heine

Das Pathetische und das Komische. Ein Portrait von Anna Gepting

Harry Heine wird am 13.12.1797 in Düsseldorf, als Sohn jüdischer Eltern, geboren. Im Jahre 1825 wechselt er seinen Namen zu Christian Johann Heinrich, mit dem Wunsch, durch die Konvertierung zum Christentum gesellschaftliche sowie berufliche Anerkennung zu gewinnen.

Düsseldorf gehört seit 1808 zum französischen Kaiserreich und der napoleonische »Code civil« preist die Ideale »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit«. Die lang ersehnte Freiheit bleibt allerdings ein Wunschdenken, denn aufgrund seiner jüdischen Herkunft erfährt Heine eine konstante Ablehnung. Das Schicksal des ewigen Außenseiters begleitet ihn verhängnis-voll, auch in der Liebe.

Die ewige Ablehnung prägt das gesamte Leben sowie das Werk Heinrich Heines. Besonders traumatisch ist dabei ein sogenanntes Amalienerlebnis. In sehr jungen Jahren verliebt sich Heine in seine Cousine Amalie, die zu allem Unglück eine wohlhabende Millionärstochter ist. Der Onkel verhindert eine Beziehung zu seinem Neffen, dem »Versager«, und stürzt Heine weiterhin in die Position des ewig Unerwünschten. Dieses einschneidende Ereignis weckt in Heine den passionierten Wunsch, der ganzen Welt und vor allem seiner allürenhaften Verwandtschaft zu beweisen, dass er kein Versager ist.

Heine lebt in der Zeit der Romantik und wird von ihrem Zeitgeist geprägt, zudem schöpft er Inspirationen aus Hegels radikalprogressiven Geschichts- und Gesellschaftsanalysen und beginnt in seiner Zeit in Berlin Lyrik zu veröffentlichen. Das Publikum dankt ihm mit sensationeller Kritik, denn Heine begeistert bereits in seinen frühen Zwanzigern mit einer erstaunlichen stilistischen Sicherheit, einem unverwechselbaren Ton.

Nach seinem Jurastudium geht Heine auf Reisen, nach Lüneburg, zur Nordsee und auf die Insel Norderney. Mit dem Verleger Julius Campe entstehen vier Bände der berühmten »Reisebilder«, die im Jahre 1985 ihr »Debüt« feiern. Das zu gestaltende »Ideen. Das Buch Le Grand« ist Teil dieses unverwechselbaren Konzeptes, denn Heines »Reisebilder« sind kein einfacher Beitrag zum damals beliebtem Genre der Reiseerzählung. Im Gegenteil, sie prägen einen neuen literarischen Stil bzw. eine Stilmixtur. Der erste Band, die »Harzreise«, besteht aus ineinander verschachtelten Prosatexten der Gattungen Satire, Autobiografie, Anekdote, philosophische Reflexion, Buchbesprechung und Reisebeschreibung. Auf diese Weise schafft Heine eine höchst abwechslungsreiche, Genre übergreifende und unterhaltende Stilmischung mit poetischen Zwischenteilen. Es ist eine wahre Revolution in der deutschen Literatur.

Der zweite Band der Reisebilder ist eine Reminiszenz an Heines Jugend in Düsseldorf in der Prosa »Ideen. Das Buch Le Grand«. Darin berichtet ein Icherzähler, größtenteils Heine selbst, einer »Madame«, von seiner Herkunft und seiner Weltanschauung. Es geht um eine heitere Jugend, liberale Überzeugungen und die Vergötterung von Napoleon Bonaparte, dem Begründer der Ideale »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit«.

Als liberaler Vordenker und Freiheitsverfechter macht Heine sich unweigerlich zur Zielscheibe der Zensur, die jegliche Meinungsfreiheit vernichtet. Alle Bücher mit einem Umfang bis zu 320 Seiten werden streng zensiert. Raffiniert umgeht Heine die Zensur, indem er seine Beiträge mehrfach publizieren lässt. Die freie Form der Reisebilder macht Heine zur Waffe der polemischen Auseinandersetzung mit Kritik.

Die Reisebilder machen Heine berühmt, doch erfolgreicher wird er mit dem »Buch der Lieder« [1827]. Er begeistert die Leser mit frechen und traurigen Fersen und dem Ton einer neuen Zeit. Vielfach gelesen von Studenten, Akademikern und dem einfachen Volk wird das Buch der Lieder auch international zur erfolgreichsten Lyriksammlung des 19. Jahrhunderts. Durch die Sprache des Volksliedes und der Romantik findet Heine einen idealen Zugang zu seinem Publikum. Verniedlichungen wie »Herzilein« erklingen nicht in Kitsch, sondern erinnern an verlorene romantische Idyllen. Heine klagt nicht, im Gegenteil, seine Texte sind voller Leichtigkeit.



Die tiefgründigsten Gedanken erscheinen in einer derart leichten Form, sodass dem Leser oft erst nach einer Weile die verborgene Tiefe erkenntlich wird und er den Autor beinahe unterschätzt. Wie bei den Reisebildern so auch beim »Buch der Lieder« fällt Heine mit besonderen, damals unüblichen Eigenschaften auf, mit Frechheit, Frivolität und Hintersinnigkeit. Besonders typisch ist jedoch sein raffinierter Humor, der jeden Trübsinn mit dezentem Witz und Leichtigkeit erfüllt. Sein tiefsinniger Humor ist eine Form der Erkenntnis. Zudem begeistert Heine mit einem musikalisch rhythmischen Schreibstil, indem er trüben Inhalt melodisch inszeniert. Seine Gedichte sind Melodien und daher ist Heinrich Heine der am meisten vertonte deutsche Dichter aller Zeiten.

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Auszug aus Loreley [1824]

Aus Heines Reisebildern werden die liberalen Aussagen besonders deutlich. Auch in seiner Zeit als Journalist macht er sich immer mehr zur Zielscheibe der Zensur und findet seine lang ersehnte Freiheit in Paris, wo er bereits ein gefeierter Autor ist. Er geht auf die Suche nach einer Vermittlung zwischen den beiden verfeindeten Staaten. Als Journalist perfektioniert er das feuilletonistische Schreiben und erklärt dem französischen und dem deutschen Publikum in »Zur Geschichte und Philosophie in Deutschland« wie er seine Nähe zum Volk gefunden hat. Anders als die deutschen Gelehrten schreibt Heine in der Sprache des Volkes, für das er keine pseudointellektuellen Formulierungen verwendet. Folgendes Zitat verdeutlicht seine Absicht: »Was helfen dem Volke die verschlossenen Kornkammern, wozu es keinen Schlüssel hat? Das Volk hungert nach Wissen und dankt mir für das Stückchen Geistesbrot, das ich ehrlich mit ihm teile. ... »Ich bin kein Gelehrter, ich selber bin Volk«.

Heine schrieb sowohl aus seiner Seele als auch aus der Seele des Volkes und traf damit einen Zeitgeist, der sich nach Veränderung und Fortschritt sehnte. Er war ein alternativer, progressiver und volksnaher Autor, der nicht mit pseudointellektuellen Begriffen hantierte, sondern die Menschen bei ihren Visionen fasste. Er war seiner Zeit deutlich voraus, ein Revolutionär, Provokateur und Freidenker. Die Limitierungsversuche der preußischen Regierung bestätigen seine revolutionären Ideen. Seine Texte waren collagiert und sprunghaft, aber gerade deshalb anders und neuartig. Heine dachte in neuen Mustern, revolutionierte die Literatur mit einem humorvollen Schreibstil und selektierte dabei nicht nur eine andersdenkende Zielgruppe, er bewies auch viel Humor, indem er raffiniert an der ungeliebten Zensur vorbei schrieb.

Ideen. Das Buch Le Grand ist, wie das Wesen Heinrich Heines, maskiert. Man kann den Text des Buches sehr schnell als wirre Irrealität auffassen, wenn man nicht zum eigentlichen Kernpunkt vorgedrungen ist, Heines Humor, der alles aufbricht, ironisch umkehrt und, sobald man sich auf ihn einlässt, eine vollkommen neue Deutungsebene ermöglicht.

Heines Humor ist ein Instrument, das aus der vermeintlich unstrukturierten Erzählung einen literarisch anspruchsvollen Text macht. Zudem offenbart es Heines versteckte Biografie, seine politischen und gesellschaftlichen Ansichten und vor allem Heine selbst, den Provokateur und Kritiker, den gescheiterten Liebhaber und revolutionären Vordenker. »Ideen. Das Buch Le Grand« ist ein Versteckspiel im Sinne Heinrich Heines.

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